Geldmengen- vs. Zinssteuerung in der Geldpolitik

In seinem jüngsten Vortrag („Darum schadet Vollgeld der Schweiz“, 3. Mai 2018) statuiert Thomas J. Jordan: „Die Zinssteuerung ist der Geldmengensteuerung überlegen und garantiert gerade in Krisenzeiten eine flexible Versorgung der Wirtschaft mit Liquidität.“

Es besteht kein Zweifel, dass die Geldmengensteuerung in der Vergangenheit grosse Probleme hatte. Die Zinssteuerung als überlegen zu bezeichnen, ist allerdings gewagt. Im Falle der Schweiz ist sogar fraglich, ob überhaupt von einer zinssteuernden Geldpolitik gesprochen werden kann. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hält zwar den kurzfristigen Zinssatz seit längerem im negativen Bereich fest. Sie tut dies indessen primär mit Blick auf den Kurs des Schweizerfrankens. Demnach sollte wohl eher von einer wechselkursgesteuerten Geldpolitik gesprochen werden.

Angesichts der immensen Ausdehnung der Notenbankgeldmenge infolge der Devisenmarktinterventionen ist es verständlich, dass die SNB nicht gerne zu einer Geldmengensteuerung steht, sondern bevorzugt von einer Zinssteuerung spricht. Naheliegend ist allerdings, dass es ihre implizite „Geldmengenpolitik“ war, die den Wechselkurs mit dem Zusatzangebot an Schweizerfranken stabilisiert hat und weniger der negative Zins.

Die SNB hat vernünftiger- und richtigerweise akzeptiert, dass bei einem massiven Überschiessen des Schweizerfrankens die Geldmenge wie der Zins in den Dienst der Wechselkurspolitik gestellt werden müssen. So hat sie grossen Schaden von unserer Volkswirtschaft abwenden und auch für die Realwirtschaft wieder gute Rahmenbedingungen schaffen können. Von einer zinssteuernden Geldpolitik kann aber wohl kaum die Rede sein.

Da der Wechselkurs für die Volkswirtschaften der USA, Europas und Japans weniger wichtig ist, können sich diese Länder eine Zinssteuerung leisten, und das tun sie auf den ersten Blick auch. Im letzten Jahrhundert huldigten allerdings alle drei der Geldmengensteuerung –nicht zuletzt geprägt durch den Monetarismus, dessen Begriff vom renommierten Schweizer Ökonomen Karl Brunner stammt. Er vertrat, wie viele andere Wissenschaftler auch, die These, dass die Notenbanken die Geldmenge (Bargeldplus Sichteinlagen beim Publikum) mit der monetären Basis (oder Notenbankgeldmenge, bestehend aus Bargeld beim Publikum und Sichteinlagen der Banken bei der Notenbank) lenken können.

Bei einem stabilen Geldmultiplikator (Verhältnis von Geldmenge zu monetärer Basis) ist eine solche Geldmengensteuerung in der Theorie möglich. In der Praxiszeigt sich indessen, dass der Geldmultiplikator weder stabil, noch steuerbar und nicht prognostizierbar ist. Darin liegt wohl der tiefere Grund dafür, dass die Notenbanken von der Geldmengensteuerung klammheimlich abliessen und auf die Zinssteuerung übergingen – die SNB in den 90er Jahren. Der Hauptgrund für die Instabilität des Geldmultiplikators liegt in der Tatsache begründet, dass die Geldmenge immer stärker durch die Sichteinlagen des Publikums bei den Banken, dem Bankenbuchgeld also, bestimmt wird – heute bis zu 90%. Bankenbuchgeld entsteht durch die Kreditvergabe der Banken. Weil letztere einem hoch komplexen wirtschaftlichen Prozess folgt, gilt dies wohl auch für die Buchgeldschöpfung. Bei einer stark zunehmenden Kreditnachfrage und entsprechend expandierender Buchgeldmenge bedarf es einer sehr restriktiven Geldpolitik der Notenbank, um die Geldschöpfung in den Griff zu bekommen.

Ein klassisches Beispiel dafür war die extreme Geldpolitik von Paul Volcker in den 1980er Jahren, die zu einer tiefen Rezession führte. Die Zinsen stiegen beinahe auf 20%. Es ist an sich müssig, darüber zu diskutieren, ob Paul Volcker mit dem Zins oder der monetären Basis steuerte. Fakt ist, dass offensichtlich eine überaus restriktive Geldpolitik nötig war, um das Kredit- bzw. Bankenbuchgeldwachstum zu bremsen. Nach der Finanzkrise von 2008 hingegen war selbst ein Zinsniveau von Null nicht tief genug, um die Kreditvergabe der Banken bzw. ihre Buchgeldschöpfung anzukurbeln. Liquidität war zwar in Hülle und Fülle vorhanden – die Bankenzogen es indessen vor, die Zusatzliquidität bei den Notenbanken oder an den Finanzmärkten, nicht aber mittels Krediten in der Realwirtschaft zu platzieren –sicherlich auch weil die Kreditnachfrage zu schwach war. Die Zinssteuerung versagte hier genauso wie es die implizite Geldmengenpolitik tat.

Erst als die Notenbanken mit dem „Quantitative Easing“ begannen, hat sich das Blatt gewendet. Dies ist allerdings weder konventionelle Zins-, noch Geldmengensteuerung, sondern unkonventionelle „Geldpolitik“ durchbreitangelegtes Aufkaufen von Wertschriften bis deren Preise endlich auf die Kreditnachfrage und das Buchgeld durchschlagen. Wäre es da nicht sinnvoller gewesen, mit Helikoptergeld zu agieren, wie es Ben Bernanke im Jahre 2002 Japan empfohlen hatte? Die Verzerrungen im Preisgefüge der Finanzmärkte wären wohl kaum so drastisch ausgefallen. Interessant ist, dass ein Mitarbeiter der SNB das Helikoptergeld selbst in normalen Zeiten für überlegen hält, eben weil es weniger Verzerrungen (auch beider Einkommensverteilung) mit sich bringt (R. Baeriswil: „The Case for the Separation of Money and Credit, Springer 2017).

Stimmt es wirklich, wenn Thomas J. Jordan im Eingangszitat sagt, dass die Zinssteuerung gerade in Krisenzeiten eine flexible Versorgung der Wirtschaft mit Liquidität garantiere? Letztere ist bloss für die Banken sichergestellt. Ob auch die reale Volkswirtschaft mit genügend Liquidität bzw. Geld versorgt wird, bestimmen die Banken, zumindest zu 90%. Noch im letzten August stand im Lexikon der SNB zu lesen: „Das Geld, das wir verwenden, kommt nicht nur von der Nationalbank. Auch die Banken schaffen Geld, indem sie Kredite vergeben – doch nicht unbegrenzt. Letztlich ist die Geldpolitik entscheidend für die Geldschöpfung.“ Wenn die Banken 90% der Geldmenge selber herstellen und die SNB nur 10%, dann versucht der Schwanz mit dem Hund zu wedeln. Ist es nicht viel eher so, dass die Banken die Geldschöpfung bzw. die Geldmenge bestimmen und sie den Notenbanken das Festlegen des kurzfristigen Zinssatzes überlassen, der zwar auch einen Einfluss auf die Geldschöpfung hat, allerdings einen indirekten und nur schwer abschätzbaren? Dass die SNB in der laufenden Debatte um die Vollgeldinitiative den Glossareintrag zur Geldschöpfung wesentlich geändert hat, lässt aufhorchen. Plötzlich schreibt sie: „Zum anderen können auch die Geschäftsbanken Buchgeldkreieren, indem sie Kredite gewähren. Ihre Möglichkeiten, Buchgeld zu schaffen, werden durch die gesetzlichen Vorschriften über die Mindestreserven und durch die Bereitschaft der SNB, die Geldversorgung zu erhöhen oder zu verknappen, beeinflusst. Die SNB kann über ihr geldpolitisches Instrumentarium die Zinssätze am Geldmarkt und damit die Geldversorgung der Schweiz indirekt über die Nachfrage nach Krediten (…) steuern.“ Eine zwar etwas weniger unrealistische, aber immer noch reichlich naive Darstellung des Geldschöpfungsprozesses.

Die riesige Notenbankgeldmenge hält sich im Moment noch innerhalb des Banken- bzw. Finanzsystems auf, weshalb sich die SNB auf dem richtigen Pfadwähnt. Das ist mitunter sehr gefährlich. Denn nicht einmal die SNB kann4ausschliessen, dass die Kreditnachfrage dereinst kräftig wächst und die Bankenbei den bestehenden Mindestreservevorschriften eine enorme Kredit- und damit Buchgeldmengenexpansion betreiben können. Deshalb ist es schade oder gar vermessen, wenn die SNB die Vollgeldinitiativeablehnt, weil sie mit einem Mindestreservesatz von 100% das Kredit-, Geld- und Inflationsschöpfungspotential der bestehenden Notenbankgeldmenge neutralisiert hätte – wie dies übrigens auch Milton Friedman vorgeschlagen hatte.

Ob der SNB – wie übrigens auch den andern Notenbanken – die rechtzeitige Abschöpfung der riesigen Liquidität aus dem Bankensystem gelingt, ist im heutigen Geldsystem mehr als nur fraglich. Es grenzt beinahe schon an Überheblichkeit, wenn sich die SNB dies einfach so zumutet. Sie müsste sich zumindest vehement dafür einsetzen, den Mindestreservesatz von2.5% deutlich anzuheben, um das heutige Finanzsystem etwas stabiler zu machen. Von einem solchen Ansinnen ist meines Wissens bisher allerdings nichts zuhören. Die SNB tut so als sei im heutigen Geldsystem alles in bester Ordnung und das plappern die Gegner der Vollgeldinitiative inklusive unser Finanzministereinfach so nach. In diesem Zusammenhang sei bloss erwähnt, dass die FINMA mit ihren Liquiditätsvorschriften die Banken dazu anhält, die kurzfristig verfügbaren Pensionskassengelder zu 100% liquide zu halten bzw. vollständig mit Reserven zu hinterlegen. Das ist sehr weise und ganz im Sinne der Vollgeldinitiative. Zumindest die FINMA scheint die richtigen Schlussfolgerungen aus ihr gezogen zu haben!

Dr. Chr. Zenger

Mai 2018